In einem spannenden Interview spricht der renommierte Experte Torsten Fell im Bereich Immersive Learning über die bahnbrechenden Vorteile von Virtual und Augmented Reality Trainings.
In VR Trainingsumgebungen werden Lerninhalte sichtbar gemacht, die in der realen Welt schwer zu vermitteln sind. Unternehmen können Gefahrensituationen, komplexe Prozesse und schwer zugängliche Ressourcen realitätsnah darstellen, Unsichtbares sichtbar machen oder Situationen, Produkte und Prozesse abbilden, die in der Realität nur mit erheblichen Aufwand dargestellt werden könnten. Das verbessert die Lernerfahrung der Mitarbeiter:innen entscheidend.
Die Möglichkeit, in eine immersive 3D-Umgebung einzutauchen und in Echtzeit mit anderen Teilnehmer:innen und Objekten zu interagieren, eröffnet völlig neue Horizonte im Bereich des Lernens. In dieser faszinierenden Welt des Immersive Learnings stehen Virtual und Augmented Reality im Mittelpunkt, und wir sind davon überzeugt, dass sie die Zukunft des Lernens gestalten werden.
Im Gespräch mit Torsten Fell, dem Experten im Bereich Immersive Learning und Gründer vom Institute For Immersive Learning, geht er auf die Möglichkeiten von VR und AR im Bildungsbereich ein, erklärt, warum die detailgetreue Abbildung der realen Welt nicht der entscheidende Faktor ist und wie Unternehmen erfolgreich diese Technologien implementieren können.
Worin sehen Sie die Vorteile von Virtual und Augmented Reality Trainings?
TF: Die Technologie ermöglicht eine virtuelle Räumlichkeit, in der ich in einer immersiven 3D Umgebung Teil einer Gruppe werden und mit dieser interagieren kann – und zwar ohne Mausklick und Tastatur. User:innen bewegen sich motorisch wie in der realen Welt und kommunizieren in Echtzeit mit anderen Teilnehmer:innen und Objekten. Diese soziale Präsenz und Kollaboration untereinander in einer virtuellen Umgebung ermöglichen das gemeinsame Erstellen, Bearbeiten und Kreativsein.
In diesem Sinne können Unternehmen in einer VR Umgebung den Zugang zu Situationen, schwer zugänglichen Ressourcen, neuen Produkten und Prozessen uvm. darstellen, die in der realen Welt schwierig oder gar nicht möglich wären. Auch können Lerninhalte dargestellt werden, die zu dem jeweiligen Zeitpunkt noch nicht real sind, z.B. neue Produkte und Prozesse. Auch das Verständnis von räumlichen Zusammenhänge kann erlebbar gemacht werden. Ich nenne das den FaktorX, wenn die VR Welt mehr leisten kann als die reale Welt. VR und AR machen Dinge sichtbar, die wir im realen Leben nicht sehen. Weiterhin haben die Anwender:innen bspw. die Möglichkeit, in verschiedene Rollen zu schlüpfen, die sie in der realen Welt nicht erleben könnten oder der Aufwand sehr hoch wäre.
Dieses Sichtbarmachen von Lerninhalten und -situationen in der virtuellen Welt stellt einen immensen Mehrwert gegenüber der Realität dar. Ebenso können Unternehmen in der VR Welt wertvolle Daten bspw. per Eye Tracking verfolgen und auswerten. Die Learning Analytics werden in den USA schon viel genutzt und generieren neue Themen.
Die Ausrichtung an den Businesszielen und die ins Zentrum gerückte Zielgruppen bzw. Lernausrichtung hilft dabei.
Also ist eine detailgetreue Abbildung der realen Welt gar nicht so wichtig in VR?
TF: Selbstverständlich bildet eine VR Umgebung die reale Welt auf virtueller Ebene ab, aber das ist meiner Meinung nach nicht der wichtigste Aspekt im Lernbereich von Virtual Reality. Vielmehr liegt der große Vorteil darin, Unsichtbares sichtbar zu machen und dieses mit anderen zu erleben und sich auszutauschen. Ein Beispiel wäre die visuell detaillierte Darstellung von Gasen und Flüssigkeiten auf molekularer Ebene oder den Blutplasma-Teilchen im menschlichen Organismus. Der kollaborative Austausch dabei, fördert nach meiner Meinung erheblich den Lernerfolg und die Nachhaltigkeit.
Auch die 3D Welt als Umgebung spielt eine Rolle: Wir Menschen leben in einer räumlichen Welt, lernen und arbeiten jedoch am Computer und Smartphone in der 2D Welt. Warum sollten wir uns auf die 2D Oberfläche beschränken? Wenn uns eine virtuelle räumliche Umgebung und die Erweiterung des realen Raum durch virtuelle Objekt soviel Mehrwert bieten kann?
Das klingt alles sehr positiv, trotzdem sehen sich manche Unternehmen mit Herausforderungen in der Implementierung konfrontiert. Welche sind das konkret?
TF: Im Moment sehe ich einen Nachteil in der mangelnden Verbreitung von VR Brillen und teilweise auch über die Jahre gewachsene Vorurteile und Missverständnisse. VR und AR kann man nicht erklären, sondern muss ausprobiert und erlebt werden. Anwender:innen müssen die VR Brille aufsetzen und in die virtuelle Umgebung eintauchen, um die Möglichkeiten dieser Technologie zu verstehen. Hier braucht es eine gewisse Zeit zur Sensibilisierung. Auch im AR Umfeld gibt es viele Situationen die erlebt werden sollten, um die Möglichkeiten und Grenzen zu verstehen.
Ein weiterer Punkt ist der Versuch, Methoden und Vorgehen aus der realen Welt 1:1 in die virtuelle Welt zu übernehmen, hier muss Transformationsarbeit geleistet werden und die neuen Möglichkeiten der virtuellen Welt verstanden und neu gedacht werden.
Viele sitzen dem Mythos auf, dass 3D aufwändig, kompliziert und teuer sei. Das Feeling zu VR und AR fehlt teilweise noch. 3D ist in vielen Organisationsteilen bisher kaum bekannt. Jetzt kommen wir mit einem Medium und Inhalt daher, den sie eigentlich so gut wie gar nicht kennen, und ich glaube, dass die Trainer:innen einen Heidenrespekt vor den neuen Skills im Umfeld 3D besitzen. Dies sind zumindest meine Erfahrungen aus sechs Jahren Befähigung im Umfeld VR/AR Trainer:innen und VR Collaboration Expert:innen Ausbildungen.
Wie nehmen Sie dazu Bedenkenträgern den Wind aus den Segeln?
TF: Deutsche Personalentwickler und Lernexpert:innen haben in den letzten Jahren permanent neue Technologien eingeführt, von WBT Autorensystemen und e-Tests hin zu LMS Systemen, LXP-Experience Plattformen und Videoformaten usw. Es ist verständlich, dass es zunächst Bedenken gegenüber einer weiteren technischen Neuerung gibt. Da diese alle, keine Räumlichkeit in der virtuellen Welt abbilden können, kann dies nur sehr bedingt als Vergleich herangezogen werden.
Jedes Unternehmen sollte sich eine wichtige Frage stellen: Was ist denn eigentlich die Alternative, um meine Businessziele nachhaltig und effizient zu vermitteln? Die Alternative wäre noch viel teurer und wesentlich ineffizienter.
So sehen bei einer Präsenzschulung am Gabelstapler zehn von zwölf Lernenden gar nichts, wenn sie nicht gerade vorn bei den Trainer:innen stehen. Zusätzlich findet das Präsenztraining meist nur an einem Standort statt und eine Skalierung wird dann schnell aufwendig und teuer. Es müssten in unserem Beispiel Gabelstapler aus dem Betrieb genommen werden für die Schulungen, Fachkräfte zu den Schulungen anreisen, ganz zu schweigen von der Wartung und dem Support. Legen sich hier Unternehmen VR/AR Brillen zu, klingt da sicherlich anfangs nach viel Geld für die Budgetplanung, aber langfristig sind die Kosten günstiger, als wenn ich mehrmals im Jahr an verschiedenen Standorten die gesamte Produktion aufhalte und Mitarbeiter:innen aus verschiedenen Städten anreisen lassen muss. Nebenbei wird es für die Umwelt auch verträglicher.
Die meisten Unternehmen suchen skalierbare Lösungen, die einen Mehrwert generieren gegenüber einer Präsenzveranstaltung. Eine Lösung sind hier intelligente Blended Learning Konstrukte, in denen Präsenz- und VR/AR Schulungen ineinandergreifen. Das erfordert ein sinnvolles Change Konzept inklusive Zieldefinitionen und dem Festlegen von Datenschutzrichtlinien. Hier kommt eine gute Beratung ins Spiel, die sich am individuellen Anwendungsfall orientiert und die passende Lösung findet.
Welchen Fehler machen Unternehmen bei der Einführung von VR und AR?
TF: Sehr häufig haben sich Firmen schon für ein bestimmtes Tool oder Technologie entschieden, ohne sich über den jeweiligen Use Case bewusst zu sein. Leider ein großer Fehler. Hier sollte zuvor unbedingt die klare Zielsetzung, die Lernziele, die Zielgruppen und die Rahmenbedingungen noch einmal genauer angesehen werden. Danach erfolgt erst das unabhängige Suchen nach einer technischen Lösung.
Meine Empfehlung ist, dass Unternehmen zunächst mit einem VR/AR Experience Day anfangen, in dem die Führungskräfte die Vor- und Nachteile von VR / AR und 360 Grad Trainings erfahren und auch live ausprobieren können. Die Spannbreite immersiver Technologien ist sehr breit gefächert.
Erst danach macht es Sinn, über die Geschäftsziele zu reden und die Technologie und entsprechende Software auszuwählen. Diese Erfahrungen unterstützen dabei, konkrete Zielsetzungen effizient und nachhaltig umzusetzen.
Wo sehen Sie die zukünftigen Entwicklungen z.B. im Zusammenhang VR und KI?
TF: Wir stehen bei der Nutzung von Künstlicher Intelligenz noch am Anfang, aber in Zukunft wird kein Unternehmen mehr darum herumkommen. Den Anfang haben wir auf Text- und Bildebene gesehen. Auch gibt es bereits seit Jahren im VR/AR-Umfeld Hand Tracking, Face Tracking, Eye Tracking uvm. Jetzt kommen neue Themenfelder zur Künstlichen Intelligenz hinzu.
Hier werden die Objekterstellung und Kollaboration mit KI-basierten Avataren ein großes Thema werden. Mit diesen können interaktive Dialoge geführt werden, die einen gegenüber klassischem eLearning mit gestützten Entscheidungsbäume einen großen Vorteil bieten. Ebenso können Lerninhalte im laufenden Betrieb mithilfe von KI visuell und funktional verändert werden.
Wichtig ist die klare und verständliche Kennzeichnung von Content und KI-gesteuerten Avataren, um eventuelle ethische Bedenken zu nehmen.
Wie wir sehen, schwebt das Thema 3D über allem und das dürfen wir auch als Anbieter nicht unterschätzen und müssen Überzeugungsarbeit leisten. Hier brauchen Unternehmen Standardlösungen, um individuelle Inhalte aufzubereiten. Das war in der Vergangenheit oft teuer und aufwendig und viele Unternehmen fragten sich, ob der Aufwand gerechtfertigt sei.
Vielen Dank für das interessante Gespräch Herr Fell!
Über Torsten Fell
Torsten Fell ist ein renommierter Experte im Bereich Immersive Learning (VR, AR, MR), Corporate Learning und Business Transformation. Seine Leidenschaft für die Gestaltung der Zukunft treibt ihn an, und er ist überzeugt, dass Offenheit für vielfältige Perspektiven und die Bereitschaft zur Veränderung entscheidend sind, um eine vielversprechende Zukunft zu schaffen.
Mit einer beeindruckenden Erfahrung von über 25 Jahren und einer beeindruckenden Bilanz von mehr als 100 erfolgreichen Projekten hat er sich einen Namen als Inspirationsquelle, gefragter Redner, Berater und Autor gemacht.